Meine Interrailtour

  • Aaaah fast vergessen - es besteht also doch noch ein Fünkchen Interesse :) Ich möchte euch also Teil 3 nicht vorenthalten - hiernach wird erstmal nicht viel kommen, weil ich noch gar nicht weiter geschrieben hab :D


    Tag 3 – vom clink zum Barmy Badger

    Am nächsten morgen machten wir uns früh auf die Beine, um in der nächsten Nacht etwas mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Wir waren noch von der Idee besessen, ein Doppelzimmer zu haben, wo wir unsere Ruhe hatten – ein Gedanke, der uns schnell ausgetrieben wurde, zumal wir bisher in den ersten beiden Nächten keine schlechten Erfahrungen mit so genannten Dorms (Mehrbettzimmern) gemacht hatten. Laut einem Tipp meines Interrail-Reiseführers gab es im Westen Londons, im Viertel Earl’s Court, ein Backpackerhotel, den Barmy Badger, der sehr gemütlich sei. Wir fuhren als erstes mit der Tube dorthin (4 Pfund für eine Fahrt ist eine Frechheit und wir europaweit nur von Venedig übertroffen – aber da fährt man immerhin mit Booten) und schon von außen sah der Barmy Badger einfach nur gemütlich aus. Als wir hereinkamen, wurden wir sofort von einem freundlichen Mann begrüßt. Die Atmosphäre hatte uns sofort in ihren Bann gezogen. Es gab nur noch 2 Betten in einem 6er-Zimmer und wir gingen zunächst noch zu einer anderen Jugendherberge in der Nähe, die uns aber auch keine andere Schlafmöglichkeit anbieten konnte, sodass wir zum Barmy Badger zurückkehrten. Sofort fühlten wir uns wohl, wir hatten nette Leute auf dem Zimmer (eine in London arbeitende Neuseeländerin sowie einen Australier, der auf Arbeitssuche war – scheinbar eignete sich der Barmy Badger hervorragend für längere Aufenthalte, vermutlich aufgrund des geringen Preises und der wohligen Atmosphäre) und kamen mit vielen anderen aus dem Haus ins Gespräch, überwiegend waren Neuseeländer und Australier zugegen. Über viele Länder haben wir im Verlauf der Reise Dinge gelernt, hier lernten wir, dass Australier sehr trinkfreudig sind. Als wir abends zurück kamen, wurden wir schon auf dem Flur von einer nicht mehr ganz nüchternen (stockbesoffenen!) Australierin begrüßt, die versuchte, im Flur Skateboard zu fahren, was ihr allem Anschein nach nur sehr begrenzt gelang. Sie lud uns ein ebenfalls zu fahren, was wir dankend ablehnten und uns nach einem anstrengenden dritten Tag ins dritte Bett fallen ließen, nachdem wir ihn in London genossen hatten. Wir hatten unter anderem die Houses of Parliaments, das London Eye, sowie das Stadion des FC Chelsea gesehen. Jeder der bereits in London war weiß, wie wunderbar diese Stadt doch ist. Ich könnte ewig über die Schönheit Londons schreiben, aber es könnte sich etwas in die Länge ziehen, deshalb belasse ich es dabei zu sagen, dass London auf jeden Fall einen Besuch wert ist. Es gibt zudem keine Stadt auf Erden, in der die Eisenbahn so mit dem Stadtbild verschmolzen ist. Da fährt man durch die innerste Innenstadt Londons eine oder zwei Haltestellen mit dem Zug (nicht der U-Bahn, die ist schließlich unterirdisch) und fährt scheinbar durch die Häuser, mal unter der Erde, mal drüber, mal so ein Zwischending. Dann ist da ein Bahnhof der längst nicht mehr in Benutzung ist und es hängt dort Werbung und schaut man an den beiden Seiten des Bahnhofs hoch so wundert man sich, wo man hier eigentlich gelandet ist, inmitten von Häusern und wie früher hier Menschen hinkommen konnten, denn nirgendwo im näheren Umkreis kann man eine Straße orten. Im nächsten Moment befindet man sich auf einer der Brücken über die Themse und kann die Aussicht über London genießen, aber nur für einen kurzen Moment, denn die Themse ist nicht sehr breit. Dann ist man auch schon wieder irgendwo über oder unter den Dächern von London. Kurzum: die Eisenbahn ist in London in die Stadt gewachsen und die Stadt in die Eisenbahn. In anderen Städten sieht man genau, dass der Bahnhof irgendwann ins Stadtbild eingefügt wurde, aber ein Gebäude für sich ist. In London ist die Eisenbahn Teil der Stadt wie sonst nirgendwo anders.

  • Nach mehr als einem halben Jahr hat mich gestern kurzfristig wieder die Lust gepackt, dieses "Projekt" weiter zu bearbeiten. Ich hab mehrmals die bisherigen Kapitel überflogen und kleinere Fehler ausgebügelt, aber auch größere Textpassagen gelöscht, geändert, verbessert oder hinzugefügt. Ich habe außerdem versucht, das ganze etwas interessanter zum Lesen zu gestalten und mehr Informationen einzubinden. Im 1. Post gibt es jetzt eine Kapitelübersicht und ich werde die bisherigen Texte aus meinen Posts ändern. Kritik, positive wie negative, selbstverständlich immer und weiterhin erhofft und erwünscht :)

  • Tag 1 – Von Mülheim an der Ruhr nach Mechelen

    Wir (wir, das sind übrigens mein Schulfreund Daniel und ich, Till) hatten diese Interrailtour von langer Hand geplant, doch nun, kurz bevor die Reise begann, fühlten wir uns absolut unvorbereitet. Wir hatten nur das nötigste bei und nirgendwo ein Zimmer reserviert. Aber wir hatten die Hoffnung, schon irgendwie etwas zu finden. Wir wollten einen Zug gegen 10 Uhr morgens nehmen – nicht zu früh, nicht zu spät, zu einer humanen Uhrzeit. Einen Strich durch die Rechnung machte uns hierbei die Tatsache, dass in vielen Teilen NRWs die Bahn nur teilweise und mit großer Verspätung fuhr. Wir entschieden uns dazu, trotzdem zunächst bis Düsseldorf zu fahren, eine Fahrtzeit von etwa einer halben Stunde auf einer der Hauptstrecken des Ruhrgebiets, dies stellte sich als problemlos heraus. Doch in Düsseldorf angekommen der erste Rückschlag unserer Reise: Der Zug, der uns über die deutsch-niederländische Grenze bringen sollte, genauer nach Venlo, fuhr nicht – gar nicht, aufgrund des Unwetters war die Strecke nicht befahrbar. Ein Alternativplan musste her. Da mein Vater bereits am Morgen angeboten hatte uns über die Grenze zu bringen, wir das Angebot aber zunächst nicht annehmen wollten, kamen wir nun auf selbiges zurück. Er erwies uns einen wahrlich netten Dienst, indem er uns bis Roermond in den Niederlanden brachte. Wir lagen zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits einige Stunden hinter unserem ursprünglichen Zeitplan. Doch in den Niederlanden konnte die Reise los gehen und wir stiegen in den nächstbesten Zug, der uns in Richtung Brüssel bringen würde. Hier kam erstmals eine gewisse Reisestimmung auf. Wir mussten nun unsere erste Fahrt in unseren Interrailbogen eintragen. [1] Ein Riesenschock durchfuhr mich, als ich feststellen musste, diesen Bogen nicht bei mir zu haben. Wir saßen in einem Zug in den Niederlanden, ließen die Heimat gerade hinter uns, und ich hatte es fertig gebracht, eines der wichtigsten Dokumente für diese Reise zu vergessen. Ich hatte zwar das Ticket, doch der Fahrtenbogen fehlte mir. Ich kann gar nicht beschreiben, welche Angst ich in den Minuten zum nächsten Bahnhof hatte. Ich überlegte mir in Gedanken bereits die unsinnigsten Ausreden (erklären Sie einem Schaffner, dass Sie eine Interrailtour machen, Ihnen aber eine der wichtigsten Unterlagen fehlt), bis wir nach einer viel zu langen Viertelstunde in Sittard einfuhren. Am Schalter erklärte ich kurz mein Problem, dass ich mein Ticket hatte, jedoch nicht den Bogen, in den ich die Fahrten eintragen muss. Die freundliche Dame hinter dem Schalter war jedoch machtlos und verwies mich auf den nächstgrößeren Bahnhof Maastricht – wo wir sowieso hingemusst hätten. So nahmen wir also den nächsten Zug nach Maastricht (Gottseidank herrscht in den Niederlanden ein wunderbarer 15-Minuten-Takt was die Hauptstrecken angeht). Wieder hatte ich Angst vor einem möglichen Schaffner, der mich aus dem Zug werfen könnte – was nicht weiter schlimm gewesen wäre, weil der Zug als nächstes in Maastricht hielt. Dort angekommen wandte ich mich zunächst an die Information. Ich erklärte erneut mein Problem und bekam nur zu hören: „Da gibt es vermutlich nicht viel zu machen.“ Das war es dann wohl. Wir mussten wegen meiner absoluten Schusseligkeit zurückfahren und würden bereits einen Tag verlieren. Das Abenteuer Interrail ging für uns mit einer, nennen wir es Tragödie, los. Trotzdem wurde ich vom Informationsschalter noch zum Ticketschalter verwiesen, wo ich einer, Barbara Salesch zum Verwechseln ähnlichen, Frau meine Geschichte ein drittes Mal erzählte. Sie versicherte, dass es absolut kein Problem sei, mir einen weiteren Bogen anzuvertrauen. Ich bekam nun die niederländische Variante des Bogens, welcher im Übrigen im deutschen Original zu Hause auf meinem Schreibtisch lag. Mit den Worten „Sie haben mir gerade das Leben gerettet!“, einem Grinsen auf dem Gesicht sowie einem um Zentner leichteren Herz, verabschiedete ich mich von Barbara und die Reise konnte nun endgültig beginnen.
    Die nächsten Fahrten waren ereignislos. In Lüttich umsteigen zu müssen ist empfehlenswert – diese Stadt hat mit Liège-Guillemins einen der wohl imposantesten Bahnhöfe, die man zu sehen bekommt. Der Bahnhof, entworfen vom spanischen Architekten Santiago Calatrava, wurde erst im September 2009 eröffnet. Es handelt sich um einen riesigen Stahlbogen, der 200 m lang und an der höchsten Stelle 40 m hoch ist. Dieser Bahnhof war der erste Höhepunkt unserer Reise, soviel stand fest. Da wir ein paar Minuten Übergangszeit für den nächsten Zug hatten, nutzten wir diese, um einige Fotos zu machen.
    Wir erreichten Brüssel gegen Abend. Auf dem Weg zur Grand-Place (wer des Französischen ein bisschen mächtig ist wird sich fragen warum es nicht Grande-Place heißt, denn Place ist im Französischen weiblich – ich weiß es auch nicht, deshalb: Vorschläge gerne direkt an mich!), dem berühmten Marktplatz in der Brüsseler Innenstadt, hielten wir schon Ausschau nach einer Touristeninformation, die in Belgien scheinbar geschickt versteckt werden. Die Grand-Place war hoffnungslos mit Touristen überlaufen, wie eigentlich ganz Brüssel. Ich war zuvor bereits einmal dort gewesen, aber wirklich bekannt war mir in dieser Stadt nicht viel. Nach ein paar Minuten hatten wir dann aber doch eine Information gefunden und wollten nach der nächstbesten Jugendherberge fragen. Die junge Dame konnte uns aber nur mitteilen, dass alle Jugendherbergen belegt seien. Alternativ könnten wir ja Couchsurfen. Doch Couchsurfen war für uns ebenso Neuland wie belegte Jugendherbergen. Wir beschlossen, auf eigene Faust auf die Suche nach einem Zimmer zu gehen. Mit einer Liste von Adressen entließ uns die Frau an der Information und wir versuchten, die nächstbeste Adresse aufzusuchen. Was sich als schwierig erwies, da wir keinen Stadtplan hatten. Doch wozu gibt es moderne Technik? Dank eines technischen Geräts, welches von einer Firma hergestellt wurde, die heißt wie das englische Wort einer beliebten Frucht, sowie der Mithilfe einer amerikanischen Fastfood-Kette, welche kostenloses Internet anbietet (das sollte uns in den nächsten Wochen noch mehr als einmal hilfreich dienen), fanden wir die erste Adresse auf der Liste. Doch man konnte uns nur ein Zweierzimmer mit Fernseher anbieten für einen Preis, der jegliches Budget gesprengt hätte. Kurzerhand entschieden wir, nicht in Brüssel zu nächtigen. Die bessere Frage war aber, wo wir sonst schlafen könnten. Wir hatten die Hoffnung, die erste Nacht nicht bereits unter freiem Himmel verbringen zu müssen. Per SMS schickte uns meine Mutter Adressen von Jugendherbergen in der Umgebung, wodurch meine Eltern uns am ersten Tag bereits das zweite Mal enorm aus der Patsche halfen. Wir fuhren mit dem nächsten Zug nach Mechelen, einem schnuckeligen Städtchen außerhalb Brüssels. Über unseren Aufenthalt möchte ich aus naheliegenden Gründen kein weiteres Wort verlieren außer, dass wir auf der Suche nach einer Jugendherberge eine Straße nicht weniger als vier Mal in jede Richtung abgelaufen sind – es gibt bessere Erinnerungen als diese.
    In Mechelen fanden wir nach einigem Suchen (und erneuter Mitwirkung des technischen Meisterwerks) dann schließlich auch die Jugendherberge – und es gab sogar freie Betten! Für die Hälfte des Preises, den wir in Brüssel hätten zahlen müssen, hatten wir zusammen mit einem netten Holländer ein 4er-Zimmer mit Dusche und Bad. Da der Tag uns verständlicherweise hungrig gemacht hatte, fragten wir die Herbergsmutter, die annähernd fließend Deutsch sprach, wo man denn etwas gutes essen könnte. Ihre Empfehlung war ein kleines Restaurant, in dem die verschiedensten Kartoffelgerichte serviert wurden – den Namen konnten wir uns nicht merken, es klang wie Etepetete. Auf der Suche nach dem Etepetete in Mechelen versuchten wir, uns an den Weg zu halten, der uns gesagt wurde. Irgendwann waren wir uns sicher, dass es bereits mehr als 3 Straßen auf der linken Seite gewesen seien. Wir bogen in die nächstbeste ein und gingen immer weiter. Irgendwann sahen wir die Kirche, neben der das Etepetete stehen sollte. Etepetete hieß eigentlich Hete Patat – und war geschlossen. Auf unserem kleinen Umweg waren wir jedoch schon an diversen anderen Restaurants vorbeigekommen, wo wir schließlich eine typische belgische Pommes aßen, danach zur Jugendherberge zurückkehrten und in den ersten Schlaf abseits der Heimat fielen, nach einem langen und anstrengenden ersten Tag.




    [1] Wenn man Interrail macht, muss man die Fahrten allesamt in einen Bogen eintragen. Diesen hat man beim Kauf des Tickets erhalten.

  • Tag 2 – Von Mechelen nach London

    Tag 2 unserer großen Europatour begann harmlos. Nach einem kurzen Gespräch mit Engländern am Frühstückstisch erfuhren wir noch von unserem Zimmergenossen, dass Mechelen besonders für die Ausbildungsmöglichkeit als Glockenläuter berühmt sei. Ich muss ehrlich gestehen, dass dieser Beruf eine eigene Ausbildung benötigt halte ich für eine absolute Frechheit – wobei ich mir nicht ganz sicher bin, wie richtig die Information diesbezüglich war. Auf jeden Fall erzählte unser neuer Bekannter diese Geschichte mit einer großen Überzeugungskraft und Selbstverständlichkeit, dass man meinen konnte, dass der Beruf des Glöckners in den Niederlanden oder Belgien Traumberuf kleiner Kinder ist wie für uns Lokführer oder Pilot. Da unser Freund nach Lille, Frankreich, musste, und wir am zweiten Tag unsere Reise bis London fortsetzen wollten und dabei über Lille fuhren, nahmen wir den selben Zug. Die Fahrt verlief auch recht ereignislos und in Lille verabschiedeten wir uns und sahen auf die Abfahrtsanzeige um den nächsten Zug – unseren Informationen zufolge hatten wir etwa eine halbe Stunde – Richtung Calais zu nehmen, wo die Fähre uns über den Ärmelkanal bringen sollte. Nirgendwo war unser Zug angeschlagen und wir sahen auf die Abfahrtstabellen. Hier stand ganz normal unser Zug eingetragen, es war Mittwoch, also musste er fahren – aber wir wollten doch sicherheitshalber nachfragen. Der nächste Zug, so sagte man uns, fahre erst in zwei Stunden. Ohne weiter nachzuhaken warum der frühere Zug nicht fuhr gingen wir schnurstracks zum anderen Bahnhof in Lille, wo die Hochgeschwindigkeitszüge fuhren. Dieser lag nur ein paar hundert Meter von unserem Ankunftsbahnhof entfernt. Auf dem Weg dorthin gab man uns ein Werbegeschenk: eine Getränkedose, die wir mit Freuden entgegennahmen. Allein, dass ich sie leer getrunken habe, grenzt an ein Wunder. Nach dem ersten Schluck hatte ich schon Angst bei jedem weiteren tot umzufallen. Das zitrusartige Getränk enthielt keine Kohlensäure und war bitter. Es war unbeschreiblich ungenießbar. Daniel sah das anders und schlürfte das Zeug grinsend weg, er nahm sogar noch 2 Dosen bei der nächsten Verteilerin.
    Wir waren nun am anderen Bahnhof und wollten schauen, ob es vielleicht irgendwelche Last-Minute-Angebote für Hochgeschwindigkeitszüge – genauer den Eurostar – gen London gäbe. Wir warteten artig an einem Informationsschalter, wo eine aufgeregte Frau asiatischer Herkunft in gebrochenem Französisch mit dem Mann auf der anderen Seite des Glases diskutierte – oder es wenigstens versuchte. Die Frau sah verzweifelt aus aber der Mann schien ihr nicht helfen zu können. Sie drehte sich um und versuchte uns in ihr Problem einzubinden, was wir geschickt durch Vortäuschung der Unkenntnis der französischen Sprache abzuwenden versuchten (mal davon ab, dass die Unkenntnis bei Daniel größtenteils trotzdem besteht, wie er immer betont – ich bin davon überzeugt, dass er zurechtkäme, wenn er nur müsste!). Es vergingen weitere Minuten des verzweifelten Flehens der Frau, es ging um eine Fahrt zum Flughafen Brüssel-Charleroi, den ich kannte. Sie schien dringend dorthin zu müssen, aber nicht auf die Hilfe des Mannes angewiesen zu sein. Sie verließ eilig den Schalter und wir waren an der Reihe. Der Mann schickte uns jedoch nur an den Ticketschalter. Wer kann auch ahnen, dass man an einen Ticketschalter gehen muss, um Tickets zu kaufen? Als wir am Ticketschalter ankamen, hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Zustande kam diese durch eine Frau am Schalter. Es war unsere alte Bekannte, die nun mit der Ticketverkäuferin eine Diskussion führte. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollte unsere Asiatin nicht verstehen, dass der Flughafen keinen Bahnhof besitzt, sondern sie einen Shuttlebus nehmen muss. Zum Glück war ein weiterer Schalter offen und uns wurde mitgeteilt, dass es keine anderen Verbindungen nach London gab, die sich für uns gelohnt hätten. Leider haben wir nicht erfahren, ob und wie die Frau es zum Flughafen geschafft hat. Wenn sie das hier jemals liest ist sie aufgefordert sich unverzüglich bei mir zu melden und Bericht zu erstatten!
    Uns erwartete von Lille nach Calais der schlechteste Zug auf unserer Reise bis dato, die Sitzen waren starr und hart, es zog durch den ganzen Zug und kalt war es auch. Immer noch wussten wir nicht, warum der erste Zug nicht gefahren war – dem Frankreichkenner könnte bereits aufgefallen sein, was der Grund war, doch wir würden es erst in London erfahren. Von Calais nach Dover nahmen wir die Fähre, die für Interrailer übrigens entgegen der offiziellen Informationen der DB ein paar Prozente Rabatt birgt, dort angekommen war nicht nur das Wetter besser – ich bin ein großer Fan von Großbritannien, umso glücklicher war ich, endlich wieder dort zu sein. Im Bus von der Fähre zum Terminal saß eine englische Frau neben mir, die ein Gespräch mit den Worten „looks like a lovely evening“ begann. Konnte ich englischer begrüßt werden, als mit einem Wort wie „lovely“? Da ich ein Jahr in den USA gelebt habe höre ich es immer gerne, wenn mir gesagt wird, ich hätte einen amerikanischen Akzent (den ich auch pflege, vor allem in England). Die Dame neben mir war mir endgültig sympathisch, als sie nach meiner Antwort auf die Frage, woher ich sei („Germany“), feststellte, dass sie mich für einen Amerikaner gehalten hatte. Ich beschloss, mitzuzählen, wie oft mir das gesagt wurde. Ich war bei eins.
    Die Strecke Dover – London legten wir mit dem neuesten Zug der britischen Eisenbahnen zurück. Vom japanischen Hersteller Hitachi ist die Baureihe 395 ein Augen- wie Fahrschmaus. In einer guten Stunde waren wir mit diesem hochmodernen Zug, der gerade einmal ein gutes Jahr die neueste Hochgeschwindigkeitsstrecke in Großbritannien befuhr (auf der im Übrigen nun auch die Eurostarzüge zwischen London und Paris in sage und schreibe 2 ¼ Stunden pendeln), in London St. Pancras. Unsere erste Aufgabe war es erneut, eine Jugendherberge aufzutreiben. Wieder waren wir bei der ersten, in die wir kamen, nicht erfolgreich. Wieder sagte man uns, dass alle Jugendherbergen in London ausgebucht seien. Man gab uns jedoch freundlicherweise eine Liste weiterer Hostels, die wir nun der Reihe nach anriefen. Doch als uns bereits vom ersten Hostel gesagt wurde, dass Betten frei seien, waren wir erleichtert und schlugen kurzerhand beim „clink“ zu. Das Gebäude hatte etwas magisches – wohin man ging, es schienen sich immer neue Flure, Türen und Treppen aufzutun. Ich hatte das seltsame Gefühl, hinter jeder Ecke könnte Harry Potter auf mich lauern und grinsen, weil ich erfahren musste, wie das Leben in Hogwarts war. Wir kehrten dreimal zur Rezeption zurück, weil wir uns verlaufen hatten – beim dritten Mal fragten wir dann nach dem Weg zu unserem Zimmer. Wir waren einmal bereits wenige Türen vor unserem Zimmer gewesen. Auf der Suche nach unserem Zimmer fiel mir übrigens ein Zettel auf, der an einer Tür hing – ich glaube an der zur Bar – und auf dem stand, dass am 14.7., also am heutigen Tag, der Bastille Day gefeiert würde. Hier fiel mir auf, warum in Frankreich der Zug nicht gefahren war. Der 14. Juli ist der Nationalfeiertag Frankreichs und wir waren völlig unbewusst an diesem Tag im Land gewesen, natürlich fuhren die Züge nicht regelmäßig. Dieses Rätsel war also gelüftet. Auf unserem Zimmer, welches uns weniger Platz ließ als nötig gewesen wäre, wurden wir von 2 Männern aus Costa Rica begrüßt. Sie machten eine Europareise und waren ursprünglich zu viert gewesen, hatten sich jedoch aufgeteilt. Da es bereits recht spät war, wollten wir nur noch etwas essen. Die Costa Ricaner boten uns an, wir könnten zusammen etwas essen gehen. Nach längerem Suchen nach dem geeigneten Essen für Magen und Geldbeutel gingen wir in einen nicht ganz koscher wirkenden Chicken-Imbiss-Shop. Wir redeten viel über Costa Rica, die Menschen dort und im Vergleich zu Europäern, über das Klima in Costa Rica (es ist nicht so heiß dort wie wir vermutet hätten) und über die Sicherheit in Mittelamerika. Nachdem ich nicht auf die Währung Costa Ricas kam, gab mir einer der beiden eine 25-Colones-Münze. Er schenkte sie mir und ich hatte 25 Colones bei mir – was vielleicht für ein Gummibärchen im Wert von rund 4 Cent gereicht hätte. Hatten wir anfangs noch ein wenig Respekt, um nicht zu sagen Angst, vor dem Abend mit den uns gänzlich unbekannten Costa Ricanern, so legte sich diese schnell, als wir merkten, dass die beiden selbst die größten Angsthasen waren, die uns je untergekommen waren. Im Chicken-Imbiss waren ein paar finster dreinblickende Typen, unsere neuen Freunde schauten immer wieder ängstlich zu ihnen herüber und waren mehr als froh, als wir den Laden endlich verließen. Abends fielen wir zufrieden und erneut müde in unsere Betten.

  • Tag 5 – Von London nach Newcastle

    Dieser Tag begann mit dem Abschied vom Barmy Badger, das uns so gut gefallen hatte, dass wir es hier vermutlich auch noch einige Nächte länger ausgehalten hätten, aber unser Zeitplan war eng, wir wollten weiter. Wir hatten am Vortag erstmals eine Jugendherberge vorgebucht, eigentlich nur, weil im Internet stand, dass in Edinburgh nichts frei war. So schliefen wir die nächste Nacht noch in England, in Newcastle-upon-Tyne. Wir fuhren mit dem englischen Pendant zum ICE, dem HST (High Speed Train), morgens los und hatten den Plan gefasst in York auszusteigen und die Stadt ein wenig zu besichtigen. Der Plan ging auf, bis wir ausstiegen. York wäre bestimmt wunderbar, wenn man vor lauter Touristen etwas sähe. Fürchterlicherweise mussten wir jede Sekunde fürchten, zwischen den Menschenmassen in Atemnot zu geraten. Nachdem wir die weltberühmte Kathedrale erahnen konnten, gingen wir Pommes essen, Fish&Chips ohne Fisch. Die Verkäuferin war das, was ich mir unter einer echten, liebenswürdigen Engländerin vorstelle – in den 5 Minuten, die wir in dem kleinen Lädchen waren, sagte sie diverse Kosenamen zu mir, „Mylove“ war eines davon, so bezeichnete sie mich mit einem Durchschnitt von gefühlten vier „Mylove“s pro Minute. Solange die Pommes schmeckten war es mir egal und da sie sehr gut schmeckten war mir die Frau sympathisch. Nachdem wir gesättigt waren gingen wir in den nahe gelegenen Modellbahnladen, bin ich doch ein großer Fan der britischen Modelleisenbahnen. Dort unterhielt ich mich mit einem Yorker über einige Züge und musste feststellen, dass ich mit dem Akzent, der in Yorkshire gesprochen wird, sehr zu kämpfen habe. Als wir nun noch einmal durch die überfüllten, aber nichtsdestotrotz wunderbaren Gässchen Yorks gehen wollten, fing es an zu regnen. Selten habe ich mir Regen mehr herbeigewünscht – die Straßen waren endlich leer und ich führte einen Regentanz auf, einfach weil ich genug Platz hatte. Als Eindruck von York bleiben vor allem viele Menschen, aber auch eine wunderbare, alte Stadt, die man vermutlich besser im Herbst oder Frühling besichtigen kann.
    Am späten Nachmittag erreichten wir Newcastle. Wir fuhren noch eine Haltestelle mit einem Regionalzug und mussten noch ein Stück laufen, hierbei half uns erneut jenes technische Meisterwerk dabei, die Jugendherberge aufzuspüren. Dort angekommen wurden wir vom Herbergsvater freudig empfangen. Es schien nicht oft vorzukommen, dass jemand mit dem Namen „Till“ bei ihm in der Herberge war, denn von der ersten Minute an nannte er mich beim Vornamen und schien eine Wette zu halten, wie oft er meinen Namen im Laufe unseres Aufenthalts würde sagen können. Als wir aufs Zimmer gingen sagte er „See you later, Till“, als wir in Richtung Stadt loszogen, fragte er „Do you have your keys, Till?“ – ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt wahr genommen hat, dass noch eine andere Person dabei war.
    Bevor wir in die Stadt gingen nutzten wir die Gelegenheit und spielten eine Runde Billard, in der Jugendherberge stand ein Tisch und es kostete nicht einmal etwas. Es gesellte sich nach kurzer Zeit ein junger Mann hinzu, welcher zunächst Englisch sprach. Als wir dann raushatten, dass er Schweizer war, versuchten wir es auf Deutsch. Wenn es einen Akzent gibt, über den ich noch mehr lachen kann als über den sächsischen, dann ist es der schweizerische. Schwyzerdütsch ist meiner Meinung nach eine Verhohnepiepelung der deutschen Sprache. Wenn ich schon einen Schweizer „Danke“ sagen höre („Dankchchche!“) kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen. Der Junge allerdings lebte erst seit 2 Jahren in der Schweiz, geboren und aufgewachsen war er aufgrund der Arbeit seiner Eltern in Pakistan, darum war sein Akzent absolut vertretbar – wobei ich auch nur erraten konnte, dass er überhaupt einen hatte. Obwohl er nicht einmal in der Schweiz aufgewachsen ist, war ihm dennoch die schweizerische Langsamkeit anzumerken. Es dauerte immer ein Weilchen, bis wir Antworten auf unsere Fragen bekamen, da er jedes mal einen Moment überlegen musste – ob es an den Schweizer Genen lag sei dahingestellt. Überhaupt war diese Jugendherberge vermutlich der Ort mit den verrücktesten Menschen, die wir auf unserer Reise trafen. Es war noch eine weitere deutschsprachige Person zugegen – eine Frau fortgeschrittenen Alters, welche geschichtlich sehr interessiert zu sein schien. Ihr größtes Problem war wohl ihr relativ schlechtes Englisch. Wenigstens fragte sie Daniel und mich, ob wir einem im Raum anwesenden Engländer eine Frage stellen könnten. Uns nichts dabei denkend bejahten wir ihre Bitte, doch die Frage haute uns um. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das der exakte Wortlaut war oder ob ich aus Gründen der Vergesslichkeit noch etwas dazugedichtet habe, aber sie sagte bestimmt „wo ist denn König Arthur der dritte, König von Northumberland, der 812 gestorben ist, begraben?“. Bemerkenswert ist dabei die überaus deutsche Aussprache des Wortes Northumberland. Als der junge Manchesteraner, dem wir die Frage übersetzten, darauf aus irgendeinem Grund keine Antwort wusste (wir waren schockiert), wunderte sich die Frau über das Unwissen desselbigen. Wir konnten ihr nur beipflichten und entschieden uns dazu, nun endlich in die Stadt zu gehen.
    Es gibt nichts worüber Daniel und ich uns besser streiten können als über den Weg. Das würden wir noch an anderer Stelle auf unserer Reise feststellen, hier in Newcastle upon Tyne haben wir aber die Strecke von der Jugendherberge bis zur Innenstadt gemeistert („Do you need a map, Till?“).
    Newcastle ist zunächst einmal nicht das, was ich mir unter einer typisch britischen Stadt vorstelle. Sie hat eine relativ unbritische Einkaufszone, sehr lang gezogen, mit flachen Häusern und modern. Ich fühlte mich im Grunde mehr wie in einer deutschen Einkaufszone. Dennoch gefiel uns die Stadt, nicht zuletzt, da sie auf den zweiten Blick weitaus britischer schien als zunächst angenommen. Zwar ließen wir die für uns uninteressanteren Bauwerke wie die St.-Nicholas-Kathedrale oder die Überbleibsel der alten Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert aus, aber auch in Newcastle kamen wir nicht umhin, uns das Stadion von Newcastle United anzuschauen, den St. James‘ Park. Es ist langweilig, weder besonders anspruchsvolle noch besonders schöne Baukunst scheinen hier in den Bau eingeflossen zu sein. Von innen soll es zwar weitaus imposanter sein, aber wir hatten nur einen Abend in Newcastle, sodass uns dieser Anblick verwehrt blieb. Nachdem wir noch einmal durch die Innenstadt geschlendert waren, beschlossen wir, Newcastle damit abzuschließen und kehrten zur Jugendherberge zurück. Der Herbergsvater verabschiedete uns mit einem „Good night, Till!“ und wir freuten uns auf ein Bett.

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