Habe auf http://gamesurf.tiscali.de ein wirklich perfektes Review gefunden!
ZitatAlles anzeigenNach zehn Jahren Wartezeit erscheint in diesen Tagen mit Transport Tycoon 2 (das Spiel heißt aus Lizenzgründen allerdings Locomotion) der Nachfolger zu einem der besten und meist gespielteten Wirtschaftssimulationen überhaupt. Chris Sawyer, der Schöpfer des Vorgängers und der ebenso beliebten Rollercoaster Tycoon Serie, hat auch die Fortsetzung fast allein in Personalunion entwickelt, das Ergebnis kann sich trotz leichter Mängel sehen lassen.
Kenner von Transport Tycoon werden sich bei Locomotion sofort heimisch fühlen. Quasi alle Menüs, Bedienelemente und Spielmöglichkeiten wurden aus dem Klassiker übernommen. Nach wie vor ist es die Aufgabe des Spielers, ein weltumspannendes Transportnetz aufzubauen und letztlich "der" Transport Tycoon zu werden. Während beim ersten Teil lediglich ein 100 Jahre andauernder Endlosmodus zur Verfügung stand, kann der Spieler bei der Fortsetzung aus zahlreichen Szenarien wählen, die oft völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen bieten. So ist einmal etwa der Holztransport in einem Hochgebirge zu etablieren, ein anderes Mal soll eine bestimmte Menge Personen befördert werden. Gütigerweise wird man durch die Missionsziele aber kaum eingeengt, so dass man das Spiel fast gänzlich nach seinem Belieben gestalten kann. Dadurch wiegt auch der Verzicht auf einen freien Endlosmodus nicht allzu schwer. Zudem bietet das Spiel einen Editor, mit dem man nach etwas Einarbeitung eigene Missionen erschaffen kann.
Wer Locomotion das erste Mal startet erlebt wahrscheinlich einen Grafikschock. Die gesamte Technik basiert auf der recht betagten Rollercoaster Tycoon-Engine und sieht dementsprechend nicht umwerfend aus. Die Vorteile dieser isometrischen Engine sind allerdings große Karten und echte Gebirgszüge, auf die etwa der Konkurrent "Transportgigant" verzichten muss.
Die technischen Mängel sind nach einiger Spielzeit aber kaum noch für den echten Fan der Rede wert. Wie kaum ein anderes Spiel ist Locomotion ein gnadenloser Zeitfresser, der einen schon mal die Nacht durchmachen lässt. Der Grund hierfür ist das unglaublich motivierende Bauen und ständige Verbessern seines Transportnetzes. Während billige Bus- oder LKW-Strecken noch schnell in die Landschaft gesetzt sind, dauert die Planung eines funktionierenden S-Bahnnetzes für eine Großstadt deutlich länger.
Im Gegensatz zu den eher oberflächlichen Giganten-Spielen von Jowood ist man bei Locomotion in der Wahl des Transportmittels sehr frei. Wer lieber Waren transportiert errichtet halt ein riesiges Eisenbahnnetz, das die vielen unterschiedlichen Fabriken miteinander verbindet, wer dagegen eher dem öffentlichen Nahverkehr zugeneigt ist, baut Regionalverbindungen zwischen Städten oder gar ein Straßenbahnnetz. Letzteres ist im Prinzip die einzige wahre Neuerung gegenüber Transport Tycoon und macht vielleicht deshalb so großen Spaß. Zwar sind die Tram-Schienen exorbitant teuer, das Geld wird aber mit Leichtigkeit wieder eingespielt, so dass Trams vieler orten Busverbindungen komplett ersetzen. Ein Problem beim Bau von den Tramschienen in den Häuserschluchten der riesigen Städte ist die mangelnde Übersicht durch die isometrische Ansicht. Auch das Ausblenden von Häuserblocks und Bäumen hilft hier nicht wirklich, gleiches gilt beim Bau einer Untergrundbahn.
Besonders motivierend bei Locomotion ist die Tatsache, dass sich sämtliche Aktionen des Spielers direkt auf die Spielwelt auswirken. Errichtet man z.B. eine Tramstrecke in einer kleinen Stadt, so wächst diese in kürzester Zeit zu einer richtigen Großstadt, soweit man das eigene Verkehrsnetz immer wieder erweitert. Es entstehen komplett neue Stadtteile und das Transportvolumen wächst, so dass vorher eingleisige Strecken nun nicht mehr für den Betrieb ausreichen. Dann heißt es sein Streckennetz etwa durch neue Ausweichstrecken und gut platzierte Blocksignale zu optimieren, was wirklich viel Spaß macht, allerdings durch eine umständliche Bedienung sehr erschwert wird.
Das Bauen von Schienen ist zwar im Gegensatz zu den Konkurrenzprodukten und dem Vorgänger deutlicher flexibler und an das Bauen von Achterbahnen aus Rollercoaster Tycoon angelehnt, aber nicht sehr intuitiv. Besonders lange Strecken sind durch das Verlegen jedes einzelnen Schienenstrangs eine Qual, noch schlimmer ist nur noch das Abreißen gelöst; leider ist es nicht möglich, komplette Abschnitte in einem Stück abzureißen und gerade bei Kurven oder Weichen versagt das System des Öfteren.
Weitere kleinere Mängel sind gelegentliche Wegfindungsprobleme der Fahrzeuge und das Hängenbleiben von Schiffen und Trams an einigen Ecken, wobei bei letzterem dann nur noch ein beherztes Eingreifen des Spielers hilft.
Auch ein Zwei-Spielermodus übers Netzwerk oder Internet ist vorhanden, ist bei einem solchen Spiel aber zwangsläufig eher uninteressant. Auch die KI der Computergegner im Einzelspielermodus fordert einen nur selten, immerhin bauen die Konkurrenten durchaus imposante und auch effiziente Transportwege, die allerdings nicht so komplex werden, wie die eigenen.
Abschließend noch eine Warnung: Locomotion ist sicherlich eine fantastische Wirtschaftssimulation und für Fans von Transport Tycoon allein aufgrund der vielen kleinen Verbesserungen (u.a. Bau von Hochbahnhöfen, einfachere Fahrplanplanung, Schmalspurbahnen fürs Gebirge und Straßenbahnen) ein Pflichtkauf. Wer allerdings den Vorgänger nicht kennt und somit keine Beziehung zu dem Spiel aufbauen kann, was allein wegen der altbackenen Technik mitunter schwierig sein kann, wird die recht hohe Wertung und den Award nicht verstehen. Dennoch, jeder der nur einen Hauch Interesse an Modelleisenbahnen, dem Transportwesen oder dem öffentlichen Nahverkehr hat, sollte Locomotion aber dennoch allein wegen des fairen Preises von unter 20 € eine Chance geben.
Wertung
Grafik:
Die Grafik von Locomotion ist sicherlich der schwächste Bereich des Spiels, basiert sie doch auf der leicht modifizierten Rollercoaster Tycoon 2-Engine, die wiederum auf der über zehn Jahre alten Transport Tycoon 1-Engine basiert. Auf 3D-Grafik muss man daher verzichten, stattdessen verfolgt man das Geschehen aus der klassischen isometrischen Ansicht aus wahlweise vier Perspektiven, was eigentlich nur beim Bau von Straßenbahnstrecken in den Häuserschluchten der riesigen Städte zu erheblichen Übersichtlichkeitsproblemen führt. Die Optik reißt heutzutage sicherlich keinen mehr vom Hocker, hat aber einen ganz eigenen Charme. Und auch wenn die Grafik einen Tick schlechter ist als beim Konkurrenten "Transportgigant", bietet Locomotion dafür auch Berge und Untergrundbahnen.
Sound:
Der Sound ist bei einem solchen Spiel sicherlich nicht sehr entscheidend. Die langweilige Fahrstuhlmusik kann man sich getrost sparen und sollte stattdessen lieber nebenbei Radio oder eigene CDs hören. Auch bei den seltenen Soundeffekten verpasst man nichts.
Gameplay:
Aufgabe des Spielers ist es ein Transportunternehmen aufzubauen und Waren oder Personen von Punkt A nach B zu befördern. Die Möglichkeiten dabei sind riesig. Soll man quer durch die Wüste einen Öltransport aufbauen oder ein Straßenbahn-, Bus- oder S-Bahn-Netz in einer der zum Teil riesigen Städte errichten. Egal für was man sich entscheidet, die Auswirkungen sind schon nach kurzer Zeit sichtbar, die Welt von Locomotion verändert sich durch die Eingriffe des Spielers zusehends.
Motivation:
Locomotion ist ein echter Zeitfresser. Ständig möchte man sein Verkehrsnetz verbessern, etwa mit einer neuen S-Bahn-Linie einen neu entstandenen Stadtteil erschließen. Das flexible Gleissystem lässt einem dafür viel Freiraum, so dass wirklich unglaublich komplexe Verkehrswege mit Signalen, Blocksignalen und Untergrundabschnitten entstehen können. Der Aufbau und die Pflege eines solch komplexen Transportnetzes macht den eigentlichen Reiz des Spiels aus. Die Aufgaben der einzelnen Missionen bewältigt man daher eher nebenbei und spielt auch nach erfolgreichem Abschluss einer Mission gerne noch auf der Karte weiter. Leider fehlt der aus dem Vorgänger bekannte Endlos-Modus.
Pro:
- Unglaublicher Zeitfresser
- verbesserter Nahverkehr
- flexibles Bausystem
- realistisches Wirtschaftswachstum
- günstiger Preis
Kontra:
- Grafik aus annodazumal
- umständliche Bedienung
- kleinere Bugs
- kein Endlos-Modus
Wertung in Prozent: 85%
Fazit:
Locomotion ist wie das hässliche Entlein, das nach einiger Spielzeit zu einem wunderschönen Schwan wird. Hat man erstmal ein komplexes Transportnetz errichtet, ist der anfängliche Ärger über die schwache Technik komplett vergessen. Kaum ein Spiel hat mich derart an den Monitor gefesselt, Chris Sawyer hat es wieder geschafft eine komplexe Wirtschaftsimulation ganz eigener Art zu entwickeln, die sich wohltuend von den sonst so sterilen Konkurrenzprodukten abhebt. Ich bin sicher, dass sich Locomotion auch noch in zwei oder mehr Jahren auf meiner Festplatte tummelt, wenn von Doom 3 oder Half-Life 2 längst keiner mehr spricht. Für mich persönlich ist das Transport Tycoon 2, denn so müsste das Spiel eigentlich heißen, schon jetzt das Spiel des Jahres, hoffe aber dennoch auf eine grafisch ansprechendere Neuauflage, beispielsweise mit der Rollercoaster Tycoon 3-Engine. Aber Vorsicht. Wer viel Wert auf Grafik legt und mit dem Vorgänger nicht vertraut ist, sollte 10-15 Prozentpunkte von unserer Wertung abziehen.